Kapitel 29 – Nach Hause
Etwas fließt durch meinen Körper. Etwas Warmes. Es fühlt sich an wie puren Leben. Ich kann spüren wie es nach mir greift, mich hochzieht, mich am Leben hält, wie es mich stärkt. Die Schmerzen kehren wieder zurück, jedoch nicht so schwer wie zuvor. Ich schlage die Augen auf und starre direkt an die Decke. Ich nehme Geräusche wahr. Stimmen. Wieder diese Stimmen, die mich schon die ganze Zeit begleiten. »Was hast du gemacht? « Es ist Raze, das weiß ich jetzt. Ich denke etwas klarer. Nehme alles intensiver wahr. »Das ist egal. « jetzt bin ich mir fast sicher dass das Mia ist, jemand anderen würde einfach nicht passen. »Ich denke sie ist einigermaßen über den Berg. Du solltest mit ihr reden. « Dann höre ich nichts mehr von ihr. Hat sie den Raum verlassen? Muss wohl. Etwas bewegt sich neben mir. Es ist Raze. »Hey, es tut mir alles so leid. « Vorsichtig drehe ich den Kopf zu ihm. Ich erkenne ihn. Deutlich. »Raze… «, ist das einzige was ich heraus bringe, für was anderes bin ich zu schwach. Er berührt leicht mit seinen Fingern mein Gesicht. Ich sehe dass er lächelt. »Wie geht es dir? Ich weiß das ist eine blöde Frage. « Ja. Eine verdammt blöde. »Es tut alles weh. «, bringe ich heraus. Sein lächeln verändert in zu einer traurigen Miene. »Es tut mir so leid. Ich hätte früher darauf kommen müssen das du da bist. « Ich schnaube sarkastisch auf. »Woher denn? Ist doch bekannt dass ich egoistisch bin. Es hätte genauso gut sein können das ich abgehauen bin. « Mir schießt wieder all das in den Kopf was vor meiner Entführung war. Was Lucas gesagt hat und was Raze wahrscheinlich gesagt hat. Er schüttelt ruhig den Kopf. »Das habe ich nicht eine Sekunde lang geglaubt. Lucas hingegen schon, er war wirklich sauer auf dich, aber das ist jetzt egal. Zwei Monate intensives suchen hat was gebracht und du bist in Sicherheit. « Ich sehe ihn an, direkt in sie Augen. » Raze, ich weiß was ihr damals in deinem Zimmer gesagt habt. Lucas hat zwar gesagt dass du nichts gesagt hast aber ich weiß dass er gelogen hat. « Das Reden fällt mir immer leicht. Das muss an dem Blut liegen was Raze mir gegeben hat. Ich seufze, was aber meine Lunge dann doch zum Kribbeln bringt. »Hör zu, ich bin dir mehr als dankbar dass du mich da rausgeholt hast. Sehr viel länger hätte ich es nicht ausgehalten, aber ich will nicht dass du hier bliebst nur weil ich dir Leid tue. Ich weiß was du über mich denkst. « Er zuckt die Schultern, als würde er das alles nicht ernst nehmen. »Ja, ich hab einiges gesagt, aber ich bin nicht hier weil du mir leid tust. Ich habe dich gesucht und gefunden weil ich dich liebe. Aus diesem Grund habe ich jede einzelne Minute daran gelegt dich zu finden. « Ich lächle ihn ironisch an.
»Ja, das hat Lucas auch gesagt, dass er mich liebt und was kam dabei raus? « Nichts kam dabei raus. Ich mache eine kurze Pause und rede dann weiter. »Aber egal, ich hab jetzt nicht die Kraft dazu. « Ich sehe mich um. »Wo bin ich hier eigentlich? « Ich mache Anstalten mich auf zu setzen, doch Raze drückt mich an der Schulter leicht wieder runter. »Bleib liegen. Wir sind bei Mia, sie ist die einzige die dir helfen konnte. « Dann kommt er wieder auf das Thema zurück. »Was Lucas sagt ist mir egal, wenn er dich so liebt warum hat er dann die letzten acht Wochen im Bett mit seiner Freundin verbracht? « Er schüttelt sichtlich missbilligend den Kopf. Unwillkürlich spanne ich den Kiefer an. »Soll er doch. « Ich versuche mir meine Verletztheit nicht anmerken zu lassen, weiß aber dass es vergeblich ist. »Es tut mir leid, ich lass meine Wut schon wieder an ihm aus. Er hätte dir das sagen sollen, nicht ich und ich habe dich damit schon wieder verletzt. « Ich sehe wie er die Hände zu Fäusten ballt, sich wegdreht und auch den Rest seines Körpers anspannt. »Du hast mich nicht verletzt. Ich will das einfach nicht wissen. Lucas geht mir am Arsch vorbei, der kann meinetwegen vögeln wen er will. «, versichere ich ihm, nur damit er sich wohler fühlt. Ich schließe die Augen und merke wie müde ich bin, wie mich das alles mitgenommen hat, öffne sie dann aber wieder. Raze scheint mir die Müdigkeit an zu sehen, denn er lächelt mich an und sagt: »Ruh dich ein wenig aus, ich bring dich dann nach Hause und deine Sachen hole ich dir auch von Lucas wenn du das willst. « Ich sehe wie er aufstehen will, halte ihm aber am Arm auf, wobei ich froh bin das ich deswegen kaum Schmerzen habe.
»Warte. « Ich sehe ihm aufrichtig in die Augen. »Danke, für alles. « Er erwidert meinen Blick, beugt sich zu mir runter und küsst mich auf die Stirn. »Für dich würde ich alles tun, selbst wenn das heißt, dass ich Silber schlucken muss. « Er löst sich wieder von mir, lächelt mich an und zieht den Schlauch aus seinem Arm, der eine Blutverbindung zu mir dargestellt hat. »Ich geh kurz mit Mia reden und dann bringe ich dich nach Hause. « Ich will noch etwas sagen, doch dann ist er schon nach Draußen verschwunden. Ich seufze, nutze aber die Zeit um mich um zu sehen. Worauf liege ich eigentlich? Ich sehe nach unten und sehe das dunkle Holz eines Tisches. Aha. Gut zu wissen. Mia wollte sich wahrscheinlich ihr Bett nicht mit meinem Blut versauen. Erst jetzt bemerke ich die Decke mit der ich zugedeckt bin, darunter bin ich nackt. Ich riskiere einen Blick darunter und ziehe scharf die Luft ein. Ich sehe echt schlimm aus. Mein Körper ist übersäht mit blauen Flecken, ganz zu schweigen von den Verbänden die die Stich- und Schusswunden verdecken die durch das Silber noch nicht heilen konnten. Ich bedecke mich wieder mit der Decke und lege mich auf die Seite, was höllisch weh tut. Meine noch nicht zusammengewachsenen Knochen schmerzen, trotzdem schlafe ich schnell und traumlos ein.
»Danke für alles und das Chaos da drin tut mir leid. Willst du die Decke wieder haben? «
Langsam werde ich wieder wach. Ich liege eingewickelt in der Decke in Raze Armen. Er steht draußen bei Mia, vor dem Bungalow. Wie lange habe ich geschlafen? Besonders lange kann das nicht gewesen sein. Vielleicht eine halbe Stunde? Ich sehe verwirrt zu Raze auf, weil ich nicht genau weiß was er vorhat. »Raze? Was hast du vor? « Mia sieht mich kurz an, wendet sich dann aber wieder zu Raze. »Du kannst die Decke behalten. « Raze sieht mich aus dem Augenwinkel her an. »Wonach sieht es denn aus? « Wendet sich dann aber wieder an Mia. »Ich sag lieber nicht auf Wiedersehen? « Sie nickt sofort zustimmen. »Ja ist wohl besser so. « Sie würdigt mir keinen Blick mehr, dreht sich rum und verschwindet in ihrem Bungalow, den ich erst jetzt zum ersten Mal sehe. Er ist klein, schlicht, aber nicht hässlich. Ich sehe ihr nach. Also sind die beiden wirklich getrennt. Erst seit jetzt? Oder schon damals als Raze betrunken vor meiner Tür stand? Ich beschließe erst mal nicht nach zu fragen. Ich sehe zu ihm hoch und widme mich meinem Problem. »Mir wäre es lieber wenn du mich nicht wie ein Baby rumtragen würdest. « Endlich wendet er sich ganz an mich, jetzt wo Mia weg ist. »ich bin zu Fuß her gekommen und du bist nackt, also bleibt die Decke und ich werde dich nicht runter lassen damit du ein paar Schritte läufst und dann doch nur umkippst. « Er setzt sich in Bewegung und beginnt die Straße runter zu laufen. Ich rolle mit den Augen. »Na der Tag wird ja immer besser. « Er lächelt selbstgefällig. »Ich weiß und es wird noch besser. Die Jäger werden dich zuerst bei dir suchen, also bist du da nicht sicher. « Ein genervtes Stöhnen entweicht meinen Lippen. »Soll das heißen dass du mich zu dir schleppst? « Sofort verdreht er ebenfalls die Augen. »Ich schleppe dich wohin du willst, nur nicht zu dir. « Ich lache laut auf. »Wohin soll ich denn sonst, wenn nicht zu dir? Zu Lucas? Wohl kaum. « Allein bei dem Gedanken würde ich mich am liebsten erschießen. Raze schüttelt mir wie zur Bestätigung den Kopf. »Seine Freundin ist wahnsinnig eifersüchtig. Ich glaube sie würde dich im Schlaf umbringen, also würde ich dich dort auch nicht unbedingt hinbringen. « Er denkt einen kurzen Moment nach und beendet dann: »Dann bleibe wohl wirklich nur noch ich. «
»Umbringen? Warum nicht? Dann würde ich wenigstens das kriegen was ich verdiene. «, murmle ich vor mich hin. Ich sehe ihn an, mustere ihn. Wieso weiß er eigentlich so viel über Lucas Freundin Bescheid, die vermutlich Raven sein wird? Haben die beiden wirklich die ganze Zeit nach mir gesucht? Ich frage nicht nach. »Was ist eigentlich mit einem Hotel? «, werfe ich ein. Nicht das ich was gegen Lucas Haus hätte, aber ich würde es nicht ertragen die ganze Zeit bei ihm zu sein. Ihn zu riechen, dafür ist zu viel passiert. Ich merke wie er bereits den Weg zu sich eingeschlagen hat. »Und in wie fern wäre es dort sicher? « Ich sehe ihn lächelnd an und hoffe, dass ihn das ein bisschen erweicht. »Es weiß keiner dass ich dort bin. Und in wie fern wäre es denn bei dir sicher? « Er sieht nicht an, sieht deswegen auch nicht mein Engelsgleiches Lächeln. Seine Augen sind auf den Weg gerichtet. »Ich bin da und ich werde nicht zulassen dass sie dir noch einmal wehtun. Ich bin zwar nicht stolz drauf aber du hast es gesehen, die einzige Möglichkeit mich aufzuhalten ist, ich außer Gefecht zu setzen. « Ich spüre wie er seinen Schritt beschleunigt. »Also sind diese Anfälle doch zu etwas gut. « Mein Herz wird warm und zieht sich gleichzeig zusammen bei dem was er sagt, trotzdem kann ich das nicht gelten lassen. Kampflos werde ich auf jeden Fall nicht aufgeben. »Dir ist aber schon klar, dass du mich früher oder später Mal alleine lassen musst oder? « Er nickt leicht. »Ja, nachher um deine Sachen von Lucas zu holen. Aber sonst? Wieso sollte ich? Essen kann man bestellen, das hab ich die letzten vier Wochen auch gemacht. « Ich stöhne innerlich. Wie kann man nur so stur sein? »Raze, ich bin kein Baby, du kannst ja auch nicht auf mich aufpassen wenn ich wieder auf dem Damm bin. « Ich spüre wie er sich unter mir anspannt. Wie seine Muskeln sich verhärten. »Doch kann ich und werde ich. «, sagt er ernst und entschlossen, weiterhin ohne mich an zu sehen. Jetzt geht es wirklich zu weit, finde ich. Verärgert sehe ich ihn an und ich bin mir sicher das man es mir auch anhört. »Werde ich da auch mal gefragt? «
»Nein. «, ist seine kurze und knappe Antwort. Scharf ziehe ich die Luft ein. »Ich denke schon. Ich lasse mich nicht einsperren Raze. « Ich bin wütend, verdammt wütend. »Wirst du nicht. Soweit du wieder in Sicherheit bist bringe ich dich nach Hause. « Hoffnung keimt in mir auf. »Lässt du mich dann in Ruhe, wenn ich wieder zu Hause bin? « Nach all dem was war und ist will ich einfach nur Zeit für mich sein. Abstand von dem allen gewinnen und das heißt auch von ihm. Er sagt eine Weile nichts. Als wenn er überlegt würde was er jetzt sagt. »Wenn du das willst… «, sagt er dann schließlich und biegt in eine kleine Seitenstraße ein. Ich bin froh dass wir in Ashburry sind. Hier laufen einem weitausweniger Leute über den weg wie zum Beispiel in London, oder sogar Daggerhorn. Was würden die Leute wohl sagen wenn sie mich und Raze hier sehen würden? Ich, eingewickelt auf seinem Arm, schwer verletzt wie man mir wahrscheinlich auch im Gesicht ansehen kann. Das wäre was. Ashburry besteht zum größten Teil aus Wald und ein paar Häuschen die alle vierhundert Meter mal kommen. Raze verhalten macht mich misstrauisch, also harke ich nach. »Ich meine mit in-Ruhe-lassen, auch, dass du nicht vor meinem Haus stehen wirst wie ein schlecht bezahlter Türsteher, das ist dir klar oder? « Jetzt sagt er gar nichts mehr. Sein Tempo wird nur wieder ein bisschen schneller. Anscheinend hat er es eilig nach Hause zu kommen, was ich ihm nicht verübeln kann, denn ich will auch nach Hause. »Raze! «, bluffe ich ihn an. »Ich komm mir schon bescheuert genug vor, wie du mich hier rumträgst und das alles, also bitte ignorier mich nicht auch noch. « Ich sehe wie er die Zähne zusammenbeißt. »Ich ignoriere dich nicht. «
»Na klar machst du das. Ich will nicht dass jemand anderes über mein Leben bestimmt, ich will nicht dass ich beschattet werde und tut mir leid dir das sagen zu müssen, aber ich will gerade dich nicht in meiner Nähe haben. « Denn es tut einfach zu sehr weh. Immer noch. »Ich ignoriere dich nicht. «, wiederholt er. »Nur das was du sagst. « Will der mich verarschen? Ich lache laut auf, was in meinem Hals weh tut. So lange ich mich nicht bewege tut mir nichts weh, doch wenn ich auch nur den kleinen Zeh bewege habe ich das Gefühl zu sterben. »Und das ist deiner Meinung nach besser, ja? Ich meine es verdammt ernst Raze. « Endlich schafft er es mich an zu sehen. »Ich weiß dass es dir ernst ist. Es interessiert mich nur nicht, weil ich nicht will das dir was passiert. « Ich sehe ihn empört an. »Es interessiert dich nicht was ich will? Das kann doch nicht dein Ernst sein. « Von weitem kann ich schon sein Haus sehen und ich spüre wie ich doch etwas erleichtert bin, denn da kann ich mich wenigstens in einen anderen Raum einschließen. »Wenn es darum geht ist es mein ernst. « Ich verstumme, mache mir nicht mehr die Mühe mich zu wehren. Bei ihm würde es eh nichts bringen. Wir schweigen uns an, bis wir beim Haus angekommen sind und er mich ins Schlafzimmer trägt.