Kapitel 2
Kapitel 2
Unentschlossen stehe ich vor seiner Tür. Wenn ich klopfe gibt es kein Zurück mehr.
Er wohnt in einem kleinen Haus, so wie ich, aber seines ist in einem besseren Zustand und man sieht das er sich um die Erhaltung kümmert.
Ich bin furchtbar genervt von mir selber und meiner Schwäche, was meine Laune nicht grade steigert. Immer wieder mach ich das. Ich habe schon etlichen von Welpen geholfen und immer wieder ist es im Chaos geendet. Man sollte meinen man lernt daraus und lässt in Zukunft die Finger davon, aber ich kann es mal wieder nicht lassen. Aber man kann nie wissen was passiert wäre wenn ich nicht da gewesen wäre, wahrscheinlich noch viel schlimmeres.
Endlich reiße ich mich zusammen und schaffe es zaghaft zu klopfen, in der Hoffnung das er es nicht hört und ich wieder gehen kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Schließlich kann ich nicht helfen wenn er mir nicht öffnet. Leider dauert es nicht lange bis sich die Tür öffnet und der Mann von vorhin, breit lächelnd, als er mich erkennt, im Türrahmen erscheint.
»Wohl doch noch nicht genug von mir, was? «, sagt er selbstgefällig und scheint sich gar nicht zu wundern das ich vor ihm stehe. Das nervt mich. Ich rolle mit den Augen und achte darauf, das er dies nicht übersehen kann.
»Wohl kaum. Ich kann kleine Kinder nur einfach nicht sich selber überlassen. Ich weiß, eine schlechte Eigenschaft von mir. « Ich grinse böse. Er sieht kurz in den mittlerweile fast dunklen Himmel und tritt dann einen Schritt zur Seite. »Willst du rein kommen? « Ich nicke. »Genau deswegen bin ich hier. « Ich schiebe mich an ihm vorbei ins Haus mit ihm direkt hinter mir.
Ich komme ins Wohnzimmer und sehe mich um. Es sieht wesentlich aufgeräumter aus, als bei mir, aber das wundert mich nicht. Seine Möbel sind wild zusammen gewürfelt und passen nicht wirklich zusammen, angefangen mit dem roten Sofa und dem blauen Teppich, der unter dem zerkratzten und ziemlich morsch wirkenden Couchtisch liegt.
Er bleibt hinter mir stehen und als ich mich umdrehe begegne ich seinem fragenden Blick.
»Also, was genau führt dich her? «
Ich verschränke die Arme vor der Brust und genieße seine Verwirrtheit. »Ich weiß dass es für dich noch nicht viele Verwandlungen gab, also bin ich hier um dir das Pfötchen zu halten. «
»Danke ich brauch deine Hilfe nicht. « Er ist stolz, wie viele Wölfe, ich eingeschlossen. Wir lassen uns nicht gerne helfen, auch wenn wir die Hilfe bräuchten. Ich lasse mich nicht abwimmeln, schließlich bin ich nicht umsonst hier her gekommen. Ironie des Schicksals. »Ja, bloß keine Hilfe annehmen. «, entgegne ich stattdessen sarkastisch. Ich schaue mich noch einmal um. »Also? Wo gehst du hin, wenn es soweit ist. « Ich komme gleich zur Arbeit, schließlich wollte ich nicht länger hier bleiben als nötig. Ich habe die Hoffnung das er wirklich alles unter Kontrolle hat und ich gleich wieder abhauen kann, nachdem er mir alles gezeigt hat was ich sehen will um mich zuüberzeugen. Vielleicht reicht es ja, wenn ich nur gucke ob alles in Ordnung ist. Ich brauche es nicht auszusprechen um ihm klar zu machen was ich meine. Er gibt schneller nach als ich gedacht hätte und deutet ohne zu überlegen in einen kleinen Flur an dessen Ende sich eine Tür befindet. Das Schlafzimmer. Ich bin geschockt und sehe ihn auch dem entsprechend an. »Ins Schlafzimmer? Hast du dort ein Fenster? « Er sieht mich an als wäre ich bescheuert. »Ja natürlich! « Ich schlage ihm gegen den Arm und sehe ihn verständnislos an. »Bist du denn bescheuert? « Ich setze mich in Bewegung und gehe auf die Tür zu, auf die er gezeigt hat. Unsanft stoße ich sie auf und sehe mich im Raum um. Ich bin Fassungslos und murmle vor mich hin: »Wie kann man nur so bescheuert sein? « Er kommt hinter mir rein. »Was? « Ich kann hören dass er angepisst ist, anscheinend versteht er nicht wo das Problem liegt. »So bescheuert bin ich nun auch wieder nicht. «, sagt er und deutet dabei unter das Fenster, wo sich eine Holzplatte befindet, die ich vorher nicht wahrgenommen habe. »Massive Holzplatte, angebohrt mit dicken Eisenschrauben. «, erklärt er und zeigt mir einen Vogel. »Das mache ich immer und hatte bisher keine Probleme damit. Also! « Er scheint auf eine Entschuldigung zu warten, die ich ihm natürlich nicht gebe, trotzdem bin ich erleichtert, dass er sich wohl doch Gedanken gemacht hat und vor das Fenster eine Holzplatte machen will.
»Selbst wenn. «, sage ich stattdessen. »Hier ist es viel zu unsicher. « Ich deute auf die Tür, die für mich nicht grade stabil aussieht. »Was ist mit der Tür? « Er macht die Tür zu und zeigt neben ihr auf jeweils zwei Harken an der Seite. »Stabile Eisenhaken. Ich komme klar. «, versichert er mir und macht die Tür wieder auf, dann packt er mich an den Schultern und schiebt mich mehr oder weniger aus dem Schlafzimmer in Richtung Haustür. Ein paar Meter lasse ich mir das gefallen, dann bleibe ich wie angewurzelt stehen und drehe mich zu ihm um, mustere ihn und verschränke die Arme vor der Brust. »Wie viele Vollmonde hast du schon hinter dir? « Ich sehe ihm förmlich an wie er im Kopf rechnet bis er mir das Ergebnis sagt: »Keine Ahnung. Vielleicht fünf vielleicht aber auch erst vier. « Ich schnaufe. »Also mehr Welpe als ich dachte. « Ich sehe auf meine Armbanduhr und dann ihn an. »Du solltest dich langsam anketten. « Ich sehe ihn unerbittlich an, durchbohre ihn fast mit meinem Blick. Er nickt zustimmend. »Ich weiß. « Aber statt in Schlafzimmer zu gehen, schiebt er mich wieder in Richtung Tür. »Und genau darum gehst du jetzt. « Ich lache belustigt auf und entwinde mich geschickt seinem Griff. Ich drehe mich ein weiteres mal zu ihm um. »Nein, GENAU DESWEGEN bleibe ich jetzt. «, sage ich entschlossen. Zwar habe ich gesehen das er vorbereitet ist, aber trotzdem habe ich ein schlechtes Gefühl bei der Sache. Er ist jünger als gedacht und ich weiß das die Verwandlung weniger wehtut wenn man unter Seinesgleichen ist, auch wenn er das im Moment nicht einsehen will, oder sich selber eingestehen will. Er scheint der klassische Mann zu sein. Keine Hilfe von Frauen, ätzend.
Mein Plan einfach wieder zu verschwinden kann ich nicht einhalten. Ich werde ihm nicht im Stich lassen, ob es ihm nun passt oder nicht.
Auf einmal schlingt er keuchend einen Arm seine Mitte und verzieht das Gesicht. Die Schmerzen fangen an. Flehend sieht er mich an. »Geh! Bitte! «, doch ich bleibe. Ich weiß dass die Transfusion begonnen hat. Ich sehe wie er sich krümmt und schüttele entschieden den Kopf. »Nein. « Sanft nehme ich ihm am Arm und führe ihn ins Schlafzimmer zurück. Dort drücke ich ihn auf das Bett und kette ihn an die Ketten die er zuvor schon bereit gelegt hat, wie ich erleichtert feststelle, da ich sie nicht noch lange suchen muss. Ich setze mich neben ihn und sehe ihn ruhig an. Ich reagiere nicht so stark auf den Vollmond und kann deswegen die Verwandlung etwas zurückhalten, manchmal sogar ganz unterdrücken.
»Ich bleibe hier. « Er wendet den Kopf ab und spannt sich an. Ich höre ihn keuchen. »Geh. «, sagt er wieder, doch ich reagiere nicht. Ich sehe wie sehr er leidet und kann es verstehen. Ich kenne diesen Schmerz. Ich spüre wie sich mein Herz zusammenzieht bei diesem Anblick. Ich bin halt doch nicht so hart wie ich immer tue. Ich lege einen Arm um ihn und halte ihn fest. Aus Erfahrung weiß ich, dass Körperwärme hilft und einen gewissen halt gibt. Er zuckt zusammen und verkrampft sich. Er schreit auf vor Schmerz als die Knochen anfangen sich zu verbiegen. Ich spüre jede Bewegung unter seiner Haut und halte ihn nur noch fester, schließe die Augen und beginne ihm immer wieder dieselben Worte zuzuraunen: »Schon gut. Bald ist es vorbei. Du schaffst das! « Wieder schreit er und drückt sich nach oben. Er drückt sein Gesicht in die Kissen. Schreit. Keucht. Ich halte ihn noch fester und murmle weiterhin die Worte. Ich spüre wie seine Haut heiß wird und rieche die Schweißperlen auf seiner Stirn. Jetzt mache ich meine Augen wieder auf und sehe ihn an. Er dreht seinen Kopf in meine Richtung. Sein Atem geht schnell und Stoßweise. Er keucht und schreit immer wieder. Es ist nicht leicht ein Lykanthrop zu sein. Die Verwandlung bringt die schlimmsten Schmerzen mit, die man je gespürt hat, aber nach einer Weile lassen sie nach und die Verwandlung dauert nicht mehr so lange. Ich sehe wie sich sein Kiefer verformt und das Glänzen seiner Haut vom Schweiß. Weiterhin bin ich ruhig, bleibe die ganze Zeit bei ihm und halte ihn. Immer wieder flüstere ich ihm die Worte zu.
Plötzlich ist er ganz ruhig. Er liegt da wie tot und atmet flach. Er sieht mich aus seinen glasigen, emotionslosen Augen an und ich erwidere seinen Blick. Ich lege ihm eine Hand aufs Gesicht. »Das wird schon. «, sage ich trauriger als ich eigentlich will. Er sieht mir weiter in die Augen. Ein kaum sichtbares Lächeln huscht über sein Gesicht, bevor er sich wieder krümmt und anfängt zu schreien. Ein Lächeln von dem ich nicht weiß wofür das war.
Er windet sich hin und her. Seine Gliedmaßen verbiegen sich sichtbar.
Das geht noch einige Stunden so. Die ganze Zeit bleibe ich bei ihm, versuche ihm bei zu stehen, bis er es endlich geschafft hat und als Wolf in meinen Armen liegt. Er ist Goldbraun, am ganzen Körper. Noch nie habe ich so eine Färbung gesehen.
Er ist regungslos. Ich weiß dass er sich erholt und bin erleichtert. Auch für mich ist es immer wieder hart die Wölfe so zu sehen, denn man kann nichts machen, selbst Schmerzmittel helfen nicht.
Noch eine Weile halte ich ihm im Arm, dann verwandele ich mich auch. Ich weiß dass es für ihn dann einfacher ist. Für meine Verwandlung brauche ich nur Bruchteile einer Sekunde, denn ich habe es schon dutzend Male gemacht.
Danach kann ich mich an nichts erinnern, wie so oft, wenn ich bei Vollmond meine Gestalt verändere.
Langsam werde ich wach. Es dauert eine Weile bis ich begreife wo ich bin. Benommen sehe ich mich im Raum um. Durch das Fenster scheint die Morgensonne, genau auf mich und ihn. Wir haben vergessen das Brett vor das Fenster zu machen, aber anscheinend wäre das auch überflüssig gewesen, denn das Zimmer sieht genau so aus wie am Abend. Ich drehe mich zu dem jungen Wolf um, dessen Namen ich noch nicht ein mal kenne. Wir liegen nebeneinander im Bett, nackt, er an mich gekuschelt. Genervt stöhne ich auf. War ja klar dass das wieder so endet.
Langsam rolle ich mich von ihm weg, in der Hoffnung, dass er davon nicht wach wird, doch schon bei der kleinsten Bewegung öffnet er seine Augen und sieht mich direkt an mit seinen blauen Augen in denen man sich schnell verlieren kann, wie ich überrascht feststelle. Er macht einen benommenen Eindruck, sieht sich um und bleibt dann wieder mit seinem Blick an mir haften und lächelt.
»Morgen. «, sagt er etwas müde. Ich seufze nur zur Antwort. Vorsichtig beuge ich mich vor und löse seine Fesseln von ihm, dann stehe ich ohne Umschweife auf.
Er bedankt sich als ich ihn los mache und setzt sich auf, aber ich beachte ihn nicht. Mir ist egal dass ich völlig nackt bin. Ich habe einen nahezu perfekten Körper und das weiß ich. Schüchtern war ich noch nie was das anging, schließlich werde ich nicht die ernste Frau sein die er nackt sieht. Ich suche den Raum nach meinen Sachen ab und finde sie neben dem Bett. »Warum muss es auch immer damit enden das ich nackt neben irgendeinem Typen aufwache? «, murmle ich vor mich hin.
Von der Seite sehe ich, dass er weg sieht. Niedlich. Ich drehe mich zu ihm um und lache leicht:
»Wie süß. Du siehst ja weg. « Während ich das sage beginne ich mich an zu ziehen. Er nickt leicht.
»Soll ich dich etwas anstarren? Ich hab´ dich zwar verfolgt, bin aber dennoch gut erzogen. « Ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel. »Ich bin Raze. «, stellt er sich vor. Na toll, ich wusste dass das kommt. Ich zucke nur die Schultern. Es interessiert mich nicht wie er heißt und ich werde ihm ganz sicher auch nicht sagen wie ich heiße. »Schön. «, sage ich kalt. Ich habe nicht vor noch mehr mit ihm zu tun zu haben.
Endlich habe ich mich fertig angezogen und das scheint er zu merken, denn er schielt vorsichtig zu mir um sich zu vergewissern das er nicht mehr nackte Haut sieht als nötig und dreht sich wieder zu mir.
»Wie heißt du? «, will er wissen. Doch ich mache ihm gleich klar das ich nicht daran Interessiert bin mit ihm Freundschaft zu schließen. »Das geht dich nichts an. « Beiläufig suche ich nach meinen Schuhen und drehe mich dabei um den Raum im Blick zu haben.
Er lächelt schief. »Dann beim nächsten Mal. « Anscheinend hat er vor genauso hartnäckig zu sein wie beim letzten Mal. Ich bringe eine Mischung aus Schnauben und Lachen zu Stande. Ich finde meine Schuhe in einer Ecke, gehe zu ihnen und zieh sie mir an. »Es wird kein nächstes Mal geben Süßer. « Wie konnte er nur denken das er mich jemals wieder sieht? Schließlich war ich jetzt auch nicht ganz freiwillig hier, zu mindestens denke ich das.
Er verdreht die Augen, anscheinend genervt von meiner abweisenden Art.
»Man trifft sich immer zwei Mal im Leben. Ich wette mit dir dass wir uns noch diese Woche wieder sehen. « Ich kann nicht abstreiten das er sich seiner Sache ziemlich sicher zu sein scheint.
»Ja wenn du mir wieder nachrennst. « Erwidere ich nur und begebe mich durch den Flur, Richtung Tür. »Tschüss, ich finde alleine heraus, danke. «, flöte ich ihm gespielt fröhlich zu und winke ihm über die Schulter zum Abschied zu. Hinter mir höre ich wie das Bettgestell quietscht als er aufsteht, danach höre ich das rauschen von Klamotten als er sich anzieht und dies wahrscheinlich sehr schnell.
»Ich renne dir nicht hinter her. «
»Ja, ja. «, entgegne ich nur und verschwinde dann aus seinem Haus, ohne das er mir nachkommen kann und schlage seine Tür hinter mir zu um ihm deutlich zu machen das er mir nicht nachkommen soll.
Auf dem Nachhauseweg mache ich extra einen Umweg, damit es für ihn schwieriger wird mich zu verfolgen und schließlich mich zu finden, dabei gehe ich durch gut besuchte Straßen, damit sich mein Duft mit dem der anderen Passanten vermischt.
Als ich in mein Wohnzimmer komme lasse ich mich erschöpft und entnervt auf das Sofa plumpsen, dabei kommt eine kleine Staubwolke hoch die mich leicht husten lässt. Was solls. Schon jetzt bin ich von dem Tag angekotzt. Ich lege meinen Kopf nach hinten und atme tief durch.
Raze.
Sein Name schwirrt mir immer wieder im Kopf herum und egal was ich mache, ich kann ihn nicht aus ihm verdrängen. Er schafft es tatsächlich das ich über ihn nachdenke. Seine Haare. Seine Augen. Seine markante Kinnpartie. Ich schüttele amüsiert den Kopf und versuche über etwas anderes nachzudenken. Über wichtige Sachen, es ist schließlich nicht so, als wenn ich sonst keine Probleme hätte, leider.