Kapitel – 38 Ungeklärte Fragen
Als ich raus komme sehe ich Raze mit der Hand an die Wand gestützt stehen. Vorsichtig nähre ich mich ihm, weil ich nicht weiß wie er sich fühlt. Besorgt sehe ich ihn an, spreche ihn aber erst ein mal nicht an. Sicher ist sicher. Ich höre wie er ein paar Sekunden später laut durchatmet und sich dann zu mir umdreht, sich wieder grade aufrichtet und mich ansieht.
»Es tut mir leid, aber er hat es verdient. « Leicht lächle ich ihn an, um ihm zu zeigen das alles in Ordnung ist. »Ja ich weiß. « Ich gehe auf ihn zu, hebe die Hand und streiche ihm über die Wange. »Alles wieder gut? « Raze nickt leicht. »Es geht. « Besser als gar nichts, sage ich mir, lasse meine Hand sinken und schlinge die Arme um seine Mitte und drücke mich an ihn. Sofort erwidert er die Umarmung und legt ebenfalls seine Arme um mich. »Was hältst du davon, wenn wir von hier abhauen? « Ich löse mich wieder von ihm und sehe zu ihm auf. »Viel halte ich davon. « Aber wo will er hin? Etwa wieder zu sich wo dutzende von Leichenteilen herumliegen und jederzeit wieder ein Jäger hereinspazieren kann? »Dann lass uns los. « Ein leichtes Lächeln huscht über sein Gesicht. »Und währenddessen kannst du mir ja erzählen was ich alles angestellt habe. « Skeptisch sehe ich ihn an. »Willst du zu dir? Und erzählen was los war kann ich dir auch nicht, schließlich war ich nicht wirklich da. « Einen Moment sieht er mich fragend an, dann scheint es ihm aber wieder ein zu fallen, das ich die meiste Zeit weg war, als er den Anfall hatte. »Ja klar wollte ich zu mir. Wo wolltest du denn hin? « Auf das andere geht er gar nicht mehr ein. »Na ja, wir wurden jetzt schon zwei mal angegriffen und deine Wohnung sieht aus wie ein Schlachtfeld. Ich glaube nicht das es eine gute Idee wäre da noch mal hin zu gehen. « Ich bete dafür das er mir zustimmt. Noch ein Angriff von Jägern und ich breche zusammen. Zwei mal ist es jetzt schon gut gegangen, aber beim dritten mal? Wer weiß wie es dann ausgeht? Ich will es gar nicht wissen. Raze scheint einen Moment darüber nach zu denken und nickt dann. »Ja okay, du hast Recht. Wir müssten trotzdem kurz noch mal hin. Ich muss wenigstens die Leichen entsorgen bevor die zu verwesen anfangen. « Eigentlich waren die Leichen der Hauptgrund wieso ich dort nicht hinwollte, aber gut. Er hat recht, wir können sie schlecht dort liegen lassen. »Gut, dann können wir gleich noch mal ein paar Sachen hohlen. « Nochmals nickt Raze. »Das wäre dann der zweite Grund. « Ich ringe mir ein Lächeln ab und sehe ihn einen Moment einfach nur an. Dann wage ich mich ihn zu fragen. »Weißt du was es mit deinen Anfällen auf sich hat? « Ein leises Seufzen entweicht seinen Lippen und er lässt die Schultern kraftlos hängen. »Nein, ich weiß nicht. Ich werde wütend und dann fühlt es sich so an als würde irgendwas tief in mir ausbrechen wollen und dann verliere ich die Kontrolle. « Betrübt sehe ich auf den Boden. »Wann hat es angefangen? « Einen Augenblick bleibt er ruhig, denkt wahrscheinlich darüber nach. »Das war... kurz bevor du für sechs Monate gegangen bist. « Mir gerunzelter Stirn hebe ich den Kopf und sehe ihn wieder an. »Ist in der Zeit irgendetwas bestimmtes passiert? « Er zuckt mit den Achseln. »Da ist so einiges passiert. « Macht er es mit Absicht so schwer? »Und was zum Beispiel? « Er räuspert sich kurz und fängt dann an aufzuzählen. »Ich hab deinen Bruder getötet, Mia hat dich von dem Fluch befreit, du hast mit Lucas geschlafen, daraufhin hab ich mit Raven und Mia geschlafen, dann bist du gegangen, dann kam Lucas zu mir und hat mich zusammen geschlagen und da hatte ich auch den ersten Anfall und irgendwo dazwischen hatte ich einen Autounfall. « Er sieht mich erwartungsvoll an, ich jedoch muss mich erst ein mal sammeln. Er hatte einen Autounfall? Schnell versuche ich das zu verdrängen, denn das steht jetzt nicht zur Debatte. Es gibt wichtigere Sachen im Moment. »Vielleicht hat Mia etwas mit dem Fluch falsch gemacht. «, überlege ich dann laut. Fragend sieht mich Raze an. »Und was sollte sie falsch gemacht haben? « Planlos begegne ich seinem Blick. »Keine Ahnung, ich bin keine Hexe, aber es scheint mir das plausibelste zu sein. « Er nickt. »Ja, vielleicht hast du recht. « Leicht überfordert seufze ich laut auf. »Wir sollten sie mal fragen. « Sofort kneift Raze die Augen zu schlitzen zusammen und schüttelt den Kopf. »Schlechte Idee. Es hat ihr schon nicht gepasst das ich mit dir da war. «
»Und ich halte es für keine gute Idee zu einem Hexenmeister zu gehen den wir nicht kennen, jedenfalls zurzeit nicht. Denkst du nicht sie würde dir helfen, wenn es wirklich ihr Fehler war? «, fragend sehe ich ihn an. Schließlich war er mit ihr zusammen und weiß daher wie sie drauf ist. »Ich weiß nicht. Sie ist wirklich wahnsinnig sauer auf mich. « Ein schlechtes Gewissen steigt in mir auf. »Wegen mir? « Natürlich wegen mir. Ich habe alles zwischen den beiden kaputt gemacht. Raze schüttelt aber abwehrend den Kopf. »Nicht direkt wegen dir. Ich habe sie angelogen und als ich ihr dann doch die Wahrheit gesagt habe war sie wütend, verletzt und enttäuscht, was ich auch verstehen kann. Hätte sie mir gesagt das ihr Onkel gestorben ist, nur damit ich aufhöre sie mit Vorwürfen und Fragen zu löchern hätte ich nicht anders reagiert. « Ich weiß nicht wirklich Wovon er redet, frage aber auch nicht nach weil es mich nichts angeht was zwischen ihm und Mia war oder ist. »Wie willst du das ganze sonst in den Griff kriegen? «, frage ich ihn ehrlich interessiert. »Bevor ich zu Mia gehe möchte ich hundertprozentig sicher sein das da ein Fehler passiert ist. « Okay das ergibt Sinn. »Und wie willst du das herausfinden? « Er seufzt laut auf. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. « Ich unterdrücke ein aufstöhnen, hebe meine Hände und fange an mir meine Schläfen zu massieren. »Wann wird mal endlich alles in Ordnung sein? « Raze fängt an leicht zu lachen. »Das wäre doch aber langweilig. « Ich lache nicht, sehe ihn stattdessen ausdruckslos an. »Bei mir war noch nie etwas in Ordnung. Es wäre mal eine Abwechslung wenn es so wäre. « Ohne dazu noch etwas zu sagen zeit er auf die Straße die zurück nach Ashburry führt. Er hat wohl gemerkt das das ein schlechtes Thema ist. »Lass uns gehen. « In dem Moment setzt er sich auch schon in Bewegung. Ich nicke zustimmend und laufe ihm dann nach. Mein Blick ist auf den Weg geheftet. Stumm laufe ich neben ihm her und denke über all das was passiert ist nach. Nach einer weile dreht Raze den Kopf zu mir, wahrscheinlich hält er die stille zwischen uns nicht aus. »Was ist los? « Ich winke leicht ab und bringe ein halbherziges Lächeln zustande, sehe ihn aber immer noch nicht an. »Ach, nichts. Es sind nur so viele Sachen die mir zurzeit im Kopf herumschwirren. « Aus dem Augenwinkel sehe ich wie er nickt und sich damit abfindet. Nach einer Weile laufen wir an einer kleiner Wohnsiedlung vorbei. Daggerhorn ist nicht viel größer als Ashburry und ist ebenso von Wald umgeben, was heißt das die Häuser auch hier einige hundert Meter voneinander entfernt stehen, deswegen sticht mir eine Passantin, die auf der anderen Straßenseite steht und grade ihre Einfahrt fegt, direkt ins Auge. Sie die erste ist die ich seit einiger Zeit gesehen habe. Sie beobachtet mich und sieht mich erschrocken an. Verwirrt erwidere ich ihren Blick und sehe automatisch an mir runter und sehe dann den riesigen Blutfleck an meiner Seite. »Verdammt. «, fluche ich, bleibe stehen und drücke meine Hand auf die Wunde, was mich schmerzlich zusammenzucken lässt. Die Wunde blutet stärker als ich gedacht hätte. Meine Hände sind nun auch voller Blut und der Blutfleck auf dem Shirt scheint sich immer weiter auszubreiten. Raze bemerkt das ich zurückbleibe und dreht sich zu mir um. Auch er scheint erst jetzt die Blutfleck zu bemerken und sieht mich forschend an. »Wie schlimm ist es? « Ich sehe zu ihm auf und sehe ihn etwas panisch an, weil es einfach nicht aufhören will zu Bluten. »Ich weiß nicht. Es hört einfach nicht auf zu bluten, das muss am Silber liegen. « Raze bleibt völlig ruhig, geht zu mir, zieht mein Shirt etwas hoch und dann meinen Verband, den ich bei Lucas angelegt habe, etwas runter und mustert meine Verletzung. »Sie ist sehr tief, die müsste genäht werden. « Einen kurzen Moment hält er inne um zu überlegen, zieht dann aber den Verband wieder über die Wunde, zieht mir stattdessen aber mein Shirt über dem Kopf. Es geht so schnell das ich gar nicht reagieren kann. Mit einem mal stehe ich Oberkörperfrei, nur im BH auf der Straße. Panisch sehe ich zu der Passantin, die eben noch auf der anderen Straßenseite gestanden hat, stelle aber erleichtert fest das sie verschwunden ist. Wahrscheinlich um einen Krankenwagen zu rufen oder ähnliches, denke ich sarkastisch. Als wenn das etwas bringen würde. Ich sehe wieder zu Raze, jedoch immer noch leicht perplex und unruhig. »Du kannst mich doch nicht einfach auf offener Straße ausziehen! « Schnell legt er mein Shirt, oder besser Ravens Shirt zusammen und drückt es auf meine Wunde. »Fest halten. «, fordert er mich auf, ohne auf mein gesagtes ein zu gehen. Ich tue was er sagt und drücke mir den Stoff auf meine Taille. Mit einer einzigen, fließenden Bewegung zieht er sich seinen Gürtel aus der Hose und legt ihn dann um mich und zieht ihn fest, damit das Shirt nicht verrutscht. Anschließend zieht er sich sein Shirt aus und entblößt damit seinen immer noch blutverschmierten Oberkörper. Schnell und geschickt zieht er mir sein Shirt über den Kopf damit ich wieder bedeckt bin und hilft mir sogar mit den Amen. Ich sehe zu ihm auf, sage nichts mehr und sehe dann auf seine Brust. Langsam strecke ich eine Hand aus und lege meine Hand auf seine Bauchmuskeln. Ich spüre das trockene Blut auf seiner Haut und rieche es auch. Raze sieht an sich runter. »Ich weiß, sieht gruselig aus. Ich muss dringend duschen. « Er ist nun wieder sanfter, seine Stimme weicher als eben. Ein leichtes Schmunzeln erscheint auf meinen Lippen. Noch immer habe ich meinen Blick auf seine Brust gerichtet. »Ich sah schon schlimmer aus. «, sage ich schlicht und sehe dann wieder zu ihm auf, in seine Augen. »Ist das dein Blut? « Unwissend erwidert er meinen Blick. »Ich weiß auch nicht, ich bin so aufgewacht. « Ich nicke leicht, lasse von seiner Brust ab und setze mich wieder in Bewegung. »Wir müssen echt herausfinden was das mit dir ist. «, murmle ich leicht vor mich hin. Raze schließt zu mir auf und wir laufen weiter. Einig Zeit später kommen wir an seinem Haus an.